Elinor Ostrom: Ausweitung der Forschungszone

Zum Tod von Elinor Ostrom: Kommentar von 2009 zu ihrem Wirtschafts-Nobelpreis.

„Format“ Nr. 42/09 vom 16.10.2009 Seite: 26
Ressort: Meinung

„Oh, eine Frau“, ist die häufigste Reaktion. „Ich habe bis heute früh noch nie von ihr gehört“, kommentiert die „Business Week“ den Wirtschaftsnobelpreis für die US-Politologin Elinor Ostrom. Die „Financial Times Deutschland“ verlinkt auf die feministische Zeitschrift „Emma“, statt selbst ein Porträt der 77-jährigen Preisträgerin zu schreiben. „Ich bin mit ihrer Forschung nicht vertraut“, bekennt der letztjährige Preisträger Paul Krugman freimütig in seiner Gratulation in der „New York Times“. Dabei hätte ihm die Beschäftigung damit vielleicht eine Antwort auf die Frage seines jüngsten großen Essays gegeben, der fragt: „Wie konnten die Ökonomen so falsch liegen?“

Denn die Auszeichnung Elinor Ostroms ist ein Signal, das weit über die Tatsache ihres Frau-Seins hinausgeht: Sie schlägt eine Bresche in die ermüdende Dichotomie zwischen „Staat“ und „freiem Markt“, in der Politik und Ökonomie nicht erst seit der Krise gefangen sind. Die einen behaupten, der Mensch sei von Natur aus gierig und egoistisch – und wenn das jeder auf einem freien Markt ausleben könne, dann sei das Gemeinwohl gesichert. Die anderen plädieren für staatliche Regeln, Interventionen und Investitionen „von oben“, geplant in großen Modellen. Doch die Krise hat gezeigt: Erst hat die ungebremste Ideologie vom freien Markt die Finanzmärkte in eine Katastrophe geführt. Dann hat der Glaube an den Vater Staat die Gemeinwesen für mehrere Generationen mit Schuldenbergen beladen, ohne auch nur die grundsätzlichen Regeln zu ändern. Nun tobt der Krieg unter den beiden Ökonomen-Lagern „Markt“ und „Staat“ ungehindert weiter: Sie machen sich gegenseitig für die Krise verantwortlich und beschädigen so die Glaubwürdigkeit der gesamten Disziplin.

Doch zwischen den Lagern gibt es, bisher unbeachtet vom Mainstream, andere ökonomische Ansätze. Auf die hat das Komitee in Oslo nun genau im richtigen Moment einen Scheinwerfer gerichtet.

Elinor Ostrom beschäftigt sich mit Commons – zu deutsch Allmenden oder Gemeingütern. Der neoklassische Ansatz dazu ist in der hartnäckigen Legende von der „Tragedy of the Commons“ zusammengefasst – der „Tragödie der Allmende“: Da Menschen egoistisch und gierig seien, würden sie allgemein verfügbare Güter wie Luft, Wasser, Weidegründe erbarmungslos ausbeuten. Die Antwort der Neoklassiker ist Privatisierung. Die Staatsanhänger rufen hingegen nach Gesetzen und Sanktionen, um Allgemeingut zu schützen. Doch Elinor Ostrom hat in unzähligen Feldstudien herausgefunden: Auf der ganzen Welt schaffen es Menschen auch ohne Markt und ohne Staat, mit Gemeingütern so umzugehen, dass sie nicht schonungslos ausgebeutet werden – von Fischern, die sich die Hummergründe aufteilen, über Weidebauern in der Mongolei bis zu kalifornischen Bürgerbewegungen für sauberes Trinkwasser.

Elinor Ostrom zieht drei wichtige Schlüsse:

Der Mensch ist nicht nur von ökonomischer Rationalität getrieben, sondern vor allem ein soziales Wesen.

In vielen Fällen ist Kooperation das bessere Modell als Konkurrenz.

Es gibt keine großen Lösungen – sondern unzählige lokale, die nicht unbedingt auf globaler Ebene funktionieren.

Ostrom hat diese Schlüsse nicht erst gestern gezogen, ihr Hauptwerk „Governing the Commons“ wurde 1990 veröffentlicht. Doch bisher wurde dieser Zweig der Ökonomie von den globalen Politikmachern kaum wahr- und schon gar nicht ernst genommen. Das sollte sich nun ändern. Das erste Versuchsfeld dafür könnte die Klimapolitik sein: Die globalen Versuche, den Klimawandel aufzuhalten, sind bisher auf der einen Seite neoklassisch (die Idee, „Verschmutzungsrechte“ käuflich zu machen und einen Markt dafür zu schaffen), auf der anderen streng etatistisch und keynesianisch (Förderungen und globale Verbote). Beides hat bisher nicht funktioniert. Ostroms Ansätze könnten rechtzeitig vor dem Klimagipfel in Kopenhagen zeigen, dass es weder ein Markt noch einheitliche globale Regeln sein werden, die das Klima retten – und dass es dennoch Lösungen gibt.

Der Nobelpreis für Ostrom ist ein Zeichen einer Zeitenwende: Er ist ein Signal für eine neue Politik, die in ihrem dritten Weg Ansätze für eine Global Governance finden kann, die sich jenseits von freiem Markt oder Weltregierungsfantasien abspielt. Er hat aber auch das Potenzial, Staub in den verkrusteten Strukturen der Ökonomie aufzuwirbeln: Ostrom betreibt Feldstudien, beobachtet echte Menschen in ihren sozialen Systemen – was ihre Kolleginnen und Kollegen daran erinnern könnte, dass die schönste ökonomische Formel nichts nützt, wenn sich die Menschen da draußen nicht an das Modell halten.

Erst danach ist es natürlich auch erfreulich, dass nun erstmals eine Frau den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen hat – eine Frau, die in ihrer Jugend mit einem Sprachfehler kämpfte, dann ihr Studium zugunsten ihres studierenden ersten Mannes aufgeben musste und sich mühsam durch die Institutionen kämpfte. Ostrom selbst ist deshalb wohl am erstauntesten über die Auszeichnung. Ihr Preisgeld will sie Studenten spenden.

Spanien: Die Blase platzt (Format, 2007)

Aus aktuellem Anlass nach oben geschupft – Reportage aus Spanien November 2007: Erstmals sinken in Spanien die Wohnungspreise, die größte Immobilienblase Europas droht zu platzen. Wenn die Kreditpyramide einstürzt, ist selbst der Euro in Gefahr.‘, ‚

Spanien: Die Blase platzt (2007)

Aus aktuellem Anlass nach oben geschupft: Reportage von der spanischen Immobilienkrise mit dem Fazit, der Euro sei in Gefahr. Recherhiert im Sommer 2007.

„Format“ Nr. 44/07 vom 02.11.2007
Ressort: Business

Erstmals sinken in Spanien die Wohnungspreise, die größte Immobilienblase Europas droht zu platzen. Wenn die Kreditpyramide einstürzt, ist selbst der Euro in Gefahr.

Es gibt kein Problem“, sagt Guido, spanischer Immobilienmakler, und versucht einen überzeugten Blick. Guido steht vor dem megalomanen Modell neuer Feriensiedlungen von Polaris World weit im Hinterland von Murcia. An die 20.000 Miniatur-Ferienimmobilien reihen sich um neun Golfplätze aus Filz. Etwa ein Zehntel davon ist schon gebaut, 11.000 ab Plan verkauft – und nun stockt das Geschäft. „Wenn Sie jetzt kaufen, schenken wir Ihnen eine Wohnungseinrichtung um 6.000 Euro“, lockt Guido. „Sie brauchen nur Ihre Kredit-karte, mit 3.000 Euro Einstiegszahlung gehört die Wohnung Ihnen“, bettelt er. „Der Preis wird mit Baubeginn so stark steigen, dass Sie in zwei Jahren auf einen Schlag mindestens 30.000 Euro verdienen können“, verspricht Guido, und blickt nun doch verzweifelt.

Denn die Zeiten, in denen spanische Immobilien Geldmaschinen waren, sind vorbei. Nach sagenhaften Preissteigerungen von 20 Prozent pro Jahr seit 2002 weicht nun die heiße Luft in rasantem Tempo aus der Immobilienblase. 800.000 Wohnungen werden derzeit in Spanien pro Jahr gebaut, die meisten davon Ferienwohnungen. Weitere 1,4 Millionen sind allein an den Küsten bereits genehmigt oder in Bau, ganze fünf Millionen sollen in den nächsten fünf Jahren dazukommen. Der Boom hinterlässt ein Meer von schlecht gebauten Häuschen, die jeden Kilometer Küste besetzen und weit ins Hinterland wachsen – und den Großteil des Jahres leer stehen. Die Preise sind in astronomische Höhen gestiegen: Für winzige Zwei-Zimmer-Appartements zahlt man realitätsferne 350.000 Euro.

Doch im September sind erstmals die Preise gefallen, und nun stehen Hunderttausende Investoren aus ganz Europa mit Wohnungen da, die nur gebaut wurden, um sie wieder zu verkaufen – und kämpfen mit steigenden Kreditzinsen und immer öfter mit Zahlungsunfähigkeit.

Können Regierung und Immobilienfirmen das Fallen der Preise nicht bremsen, droht die platzende Blase die gesamte spanische Wirtschaft mitzuziehen: 30 Prozent der Wirtschaftsleistung hängen vom Bausektor ab, der dem Land in den letzten Jahren das stärks-te Wirtschaftswachstum Westeuropas verschaffte. Die spanischen Bau- und Immobilienfirmen stiegen während des Booms zu den größten der Welt auf und kauften sich weltweit in Baufirmen, Ölkonzerne und Banken ein. Doch bereits die ersten Anzeichen für das Ende des Booms haben Opfer gefordert: Im April sackten die Börsenkurse der spanischen Baufirmen auf weniger als die Hälfte ab, institutionelle Investoren wie Pensionsfonds zogen sich zurück. Im Sommer sind bereits zwei Baufirmen auf spektakuläre Weise in Konkurs gegangen. Die Branchenriesen ziehen sich in neue Boom-märkte wie Marokko und Bulgarien zurück.

Am nervösesten sind aber die Banken. Zwar blieben die spanischen Geldinstitute von der US-amerikanischen Kreditkrise weitgehend verschont – das aber nur, weil sie ihr gesamtes Geld in die landeseigene Immobilienblase gesteckt und dafür auf den internationalen Finanzmärkten gehörig Geld aufgenommen haben. Mehr als 900 Milliarden Euro – 60 Prozent des gesamten Kreditvolumens – wurden an Wohnungskäufer, Baufirmen und Immobilienbüros verliehen. Die Wohnungen sind nach Jahren der Preissteigerung um 20 Prozent pro anno extrem überbewertet, die steigenden Zinsen machen es derzeit schon einer halben Million Familien in Spanien fast unmöglich, ihre Kredite zu zahlen.

Besonders betroffen sind junge Leute und Einwanderer, um die bis zum Sommer mit absurden Lockangeboten ge-worben wurde: Hypothekarkredite auf 40 Jahre ohne Einstiegszahlung und mit drei zahlungsfreien Jahren wurden die Regel.

Genau diese Bevölkerungsschicht ist aber vom Ende des Baubooms am meisten betroffen. Jedes nicht gebaute Haus kostet zwei Jobs, rechnet die Bauwirtschaftsvertretung vor. Werden nun nächstes Jahr statt 800.000 nur „nachhaltige“ 500.000 Wohnungen gebaut, bedeutet das 600.000 Arbeitslose mehr auf einen Schlag.

Schlimmer noch: Der Bau-boom baut auf einer Kreditpyramide auf, die mit fallenden Preisen schnell zum Einsturz kommen kann. „Der typische Käufer eines Ferienhauses an der Küste kaufte in den letzten Jahren – oft über Internet – mit einer minimalen Ersteinzahlung von 5.000 bis 10.000 Euro eine Wohnung um etwa 200.000 Euro, um sie bei Fertigstellung um 30.000 teurer zu verkaufen, meist an weitere Wiederverkäufer: Ein bisher risikoloser Gewinn von 50.000 Euro pro Wohnung in kürzester Zeit“, erklärt Miguel Angel Torres, der an der Costa del Sol für Raumplanung zuständig ist. „Jetzt ist das Ende der Kette erreicht, und die letzten Investoren – oft Engländer oder Deutsche, die ihre Wohnung zuhause belastet haben – finden weder Käufer, noch können sie die Kredite bedienen.“ Stürzt die Pyramide ein, könnte das die Stabilität des Euro gefährden, warnte der IWF vor einem Jahr. Nun ist es bald so weit.

Die Angst vor dem Crash macht es jenen wieder leichter, die Schwarzgeld investieren wollen. Vor einem Jahr hatte die spanische Regierung zwar angekündigt, die Geldwäsche und Korruption im Baugewerbe zu bekämpfen – was zur spektakulären Festnahme von über hundert Lokalpolitikern und Bauunternehmern in der „Operation Malaya“ in Marbella führte. Doch aus Angst vor dem Ende des Booms – und damit Wahlverlusten – wird jetzt weniger genau hingesehen: Der Richter im Marbella-Fall wurde ausgetauscht, nur noch drei Angeklagte sind in Haft, und die Ankündigungen der Regierung, den ständigen Strom von Schwarzgeld etwa von deutschen Freiberuflern zu stoppen, scheinen vergessen.

Ebenso die Bemühungen, illegale Bauten zu stoppen: Nach wie vor ist es an den Küsten Usus, erst zu bauen und dann die Genehmigung zu bekommen – mehr als die Hälfte der neueren Immobilien in Andalusien entstanden auf diese Weise. Hauptsache, es wird weiter umgewidmet und ge-baut, scheint das Motto zu sein.

Auf diesem wackligen Untergrund brummt die spanische Bauwirtschaft leiser, aber doch weiter. Die spanische Zentralbank ist jedoch wachsam. Sie zwingt derzeit alle Banken dazu, die Qualität ihrer Hypothekarkredite zu überprüfen – allerdings diskret: Man will nicht den Eindruck erwecken, dass es ein Problem geben könnte. Denn wer sollte sonst auch die Millionen Wohnungen kaufen, auf denen derzeit steht: „For Sale – Urgent“?