‚Afrika wird wie ein Kind behandelt‘

Auma Obama. Die Halbschwester von US-Präsident Barack Obama kam für die Aids-Konferenz nach Wien. NEWS sprach mit ihr über ihre Arbeit in Kenia. Interview: Corinna Milborn, Hanna Simons. NEWS Nr. 28/10 vom 15.07.2010.

Der Kampf gegen Aids und HIV brachte diese Woche rund 25.000 Menschen zur Internationalen Aids-Konferenz nach Wien. Internationale Gäste wie Ex-US-Präsident Bill Clinton oder Microsoft-Gründer Bill Gates gaben dem Anliegen der Konferenzteilnehmer ein prominentes Gesicht. Auma Obama hat einen nicht weniger prominenten Namen – doch die Halbschwester von US-Präsident Barack Obama ist nicht als Zugpferd zur Aids-Konferenz nach Wien gekommen, sondern als Expertin. Der mächtigste Mann der Welt und die 50-jährige Mutter einer Tochter haben denselben kenianischen Vater, wuchsen aber getrennt voneinander auf. Erst 1982, als sie bereits erwachsen waren, trafen sich Barack und Auma zum ersten Mal in Chicago. Die beiden verbindet seither regelmäßiger Kontakt, auch im Wahlkampf hat Auma ihren bekannten Halbbruder unterstützt.

Die gebürtige Kenianerin studierte in Heidelberg Germanistik, promovierte an der Universität Bayreuth und lebte in Berlin. Später zog sie nach London, arbeitete dort mit Kindern und Jugendlichen. Seit 2007 engagiert sich Auma Obama für CARE in ihrem Heimatland. Mit NEWS sprach sie über ihre Projekte, das Bild Afrikas in der Welt und über die größten Fehler der Entwicklungshilfe.

News: Afrika ist von HIV und Aids besonders stark betroffen. Bei der Aids-Konferenz geht es nicht nur um das Virus an sich, sondern um den Zusammenhang mit Menschenrechten, Ernährung, Armut. Inwiefern hat die Verbreitung von HIV etwas mit Armut zu tun?

Obama: Zunächst einmal wünsche ich mir, dass Afrika in der Welt nicht als ein Land, sondern als Kontinent wahrgenommen wird. Es gibt 53 verschiedene Länder und daher 53 verschiedene Situationen und verschiedene Wege, Aids zu bekämpfen. Ja, die Epidemie hat den Kontinent erfasst. Aber Uganda hat es zum Beispiel geschafft, die Zahl der Betroffenen zu reduzieren. Diese Unterscheidung ist auch für die Arbeit der NGOs wichtig: Oft kommen sie in ein Land, wollen etwas verbessern, haben aber keine Ahnung von der Infrastruktur, von den politischen Strukturen. Für den Erfolg der Arbeit ist es aber wichtig, mit der örtlichen Regierung zusammenzuarbeiten. Das Fehlen guter Regierungen und Verwaltungen ist oft ein Problem.

News: Beobachten Sie diese Nicht-Differenzierung auch in der internationalen Politik?

Obama: Ja, das ist ein großes Problem, genau wie viele pauschale Vorurteile, etwa dass Afrikaner gar keine Kondome benutzen wollen. Viele Menschen, auch Politiker, haben das Bild, dass Afrika ein kleines, hilfloses Land ist und dass sie den Afrikanern etwas beibringen müssen. Wenn man nicht zuhört, was die Probleme in den einzelnen Ländern sind, wird man nichts verändern können. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass man uns zuhört. Ich gehe zu vielen Konferenzen über die Probleme auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei wird nie über die Länder gesprochen, in denen es auch eine positive Entwicklung gibt.

News: Welche Erfahrungen mit dem Bild Afrikas in Europa haben Sie während Ihrer Studienzeit in Deutschland gemacht?

Obama: Ich habe dieselben Stereotype erlebt. Afrika wird wie ein Kind behandelt, um das man sich kümmern muss. Dabei gibt es in afrikanischen Ländern Menschen, mit denen man partnerschaftlich auf Augenhöhe zusammenarbeiten kann, wie etwa gut ausgebildete Ärzte. Diesen partnerschaftlichen Ansatz verfolgen wir auch bei unseren Projekten mit Kindern und Jugendlichen.

News: Macht es einen Unterschied, dass der US-Präsident afrikanische Wurzeln hat?

Obama: Afrika ist im Blickfeld der USA, es sind vielleicht die einzelnen Länder mehr in den Fokus gerückt, und es hat der Politik neuen Antrieb gegeben. Jetzt gilt es, abzuwarten, was passiert. Aber auch George W. Bush hat viel für den Kampf gegen Aids in Afrika getan.

News: Rufen Sie Ihren Bruder an, wenn Sie Unterstützung für Ihre Arbeit brauchen?

Obama: Nein. Er ist mein Bruder und macht seinen Job, ich mache meinen.

News: Hilft Ihnen der bekannte Name nicht bei Ihrem Job – dabei, auf Ihre Arbeit aufmerksam zu machen?

Obama: Das sollte nicht nötig sein. Über meinen Namen zu sprechen ist nicht wichtig. Es würde nur mir helfen, aber ich brauche keine Hilfe. Mir geht es gut.

News: Es gibt Wirtschaftsexperten, die ein Ende der Entwicklungshilfe fordern, weil das Geld nur die Abhängigkeit Afrikas von den Gebern fördern würde. Zu Recht?

Obama: Ja, das ist ein Problem. Aber die Lösung ist, dass die Empfänger von Entwicklungshilfe selbst Entscheidungen treffen können, wofür sie die Hilfe am besten einsetzen können. Und sie müssen auch einmal Nein sagen dürfen, wenn sie mit Vorgaben nicht einverstanden sind, ohne fürchten zu müssen, dass sie nächstes Mal nichts mehr bekommen.

News: Österreich hat seine Entwicklungsausgaben um ein Drittel auf ca. 0,3 Prozent des BIP gekürzt. Ist das zu wenig?

Obama: Für mich ist es nicht so wichtig, wie viel jemand gibt, sondern, wohin das Geld geht. Die wichtige Frage ist: Warum bekommt ein Land Entwicklungshilfe? Hat es darum gebeten? Braucht es die Hilfe?

News: Sie arbeiten in Kenia für Care mit Jugendlichen. Wie ist es dazu gekommen?

Obama: Ich fühle mich meinem Heimatland verpflichtet und hatte nach der Arbeit mit Jugendlichen in London auch das Gefühl, dort mehr bewirken zu können. In Europa ist der Graben zwischen Jugend und Erwachsenen fast unüberwindbar, es herrscht Misstrauen. In Afrika sind die Jungen hungrig nach Chancen.

News: Wie funktionieren die Projekte „Sports for Social Change“?

Obama: Wir „ködern“ junge Menschen über den Sport. Sie spielen Fußball, Softball, lernen Boxen. Das fördert soziale Kompetenz, Selbstvertrauen. Nach dem Spiel setzen sich die Betreuer mit den jungen Menschen zusammen, sprechen über HIV, Bildung, Menschenrechte. Nicht belehrend, sondern auf Augenhöhe.

News: Im südlichen Afrika ist die Mehrheit der von HIV Betroffenen weiblich. Sie konzentrieren sich besonders auf die Mädchen. Wie kommen Sie an sie heran?

Obama: Wir machen Tage der offenen Tür, versuchen auch die Eltern zu überzeugen. Wenn sie sehen, dass Mädchen, die teilnehmen, Stipendien bekommen, ins Ausland zu Wettkämpfen fahren und von der Straße geholt werden, willigen sie ein. Die Mädchen bekommen durch das Projekt mehr Selbstvertrauen und lernen, dass sie auch Nein sagen dürfen.

News: Wie können Sie den Männern beibringen, ein Nein auch zu akzeptieren?

Obama: Auch hier kann der Sport einen Beitrag leisten. Wenn Frauen im Team Führungsstärke entwickeln, wenn sie gut oder sogar besser als die Burschen spielen, verändert das ihr Image, und sie bekommen mehr Respekt. Dabei geht es nicht nur um HIV, sondern um die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Darum, dass sie nicht die Schule abbrechen, um nur für Hausarbeit und Kinder da zu sein, denn damit begeben sie sich wieder in wirtschaftliche Abhängigkeit.

News: Wird eine Generation ausreichen, um eine Veränderung zu erzielen?

Obama: Nein, das ist ein langer Weg. Wir haben gerade erst angefangen.