Notaufnahme. Gedächtnisprotokoll von Julya Rabinowich.

Die Schriftstellerin Julya Rabinowich war gestern, Samstag, abend als Patientin am AKH. Sie wurde dabei Zeugin davon, wie eine Mutter per Polizei von ihrer schwerkranken Tochter getrennt wurde, die später selbst von der Polizei weggebracht wurde. Das Verbrechen der beiden: Keine Aufenthaltsgehemigung. Beide sind aus Tschetschenien, wollten einen Asylantrag stellen – waren aber zuvor in Polen. Derzeit befinden sie sich in Schubhaft in der Rossauer Lände in Wien.

Julya hat ein Gedächtnisprotokoll geschrieben. Ich stelle es auf den Blog, damit es nicht verloren geht. Denn Krankenhäuser, die noch vor der Behandlung eines Notfalles die Polizei rufen; Eltern, die von der Staatsgewalt von ihren Kindern getrennt werden: Solche Zustände halten Menschen mit lebensgefährlichen Krankheiten oder Verletzungen davon ab, ins Krankenhaus zu gehen, weil sie damit ihre blanke Existenz aufs Spiel setzen. Das ist, in einem der reichsten Länder der Welt, in einem der besten Gesundheitssysteme der Welt, nicht weniger als eine Schande.

Hier das Gedächtnisprotokoll von Julya Rabinowich:

Gestern Nacht im AKH: werde – selbst als Patientin auf der Notfall sitzend- darauf aufmerksam, dass ein junges Mädchen mit verzweifelter Mutter daneben auf einer Liege hineingeschoben wird. Beide sprechen kein Wort Deutsch. Ich biete mich als Dolmetscherin an. Die beiden sind aus Tschetschenien, das Mädchen ist mit Schmerzen auf der Strasse zusammengebrochen. Jemand rief die Rettung. Beide sind unversichert.

Mutter gibt an, auf dem Weg nach Traiskirchen gewesen zu sein, als die Tochter zusammenbrach, um dort einen Asylantrag zu stellen. Die Rettung wurde von Unbekannten verständigt. Die Mutter weiß nicht genau, wo sie sich befinden. Das Mädchen ist schwer krank und leidet an Niereninsuffizienz und hohen Blutdruckschüben. Das Mädchen hat gelbliche Gesichtsfarbe und große Angst.

Die Polizei wird verständigt. Es erscheinen: vier Polizisten für eine verzweifelte Mutter und eine bettlägerige Tochter. Die Tasche der Mutter wird öffentlich durchsucht. Sie war zuvor schon einmal in Polen. Die Frau wird, da illegal, von der weinenden Tochter – die im Spital bleibt, völlig allein- getrennt und in die Rossauer Lände gebracht. Die Tochter wird wie eine Schwerverbrecherin von zwei Beamten bewacht, aufs Klo eskortiert und noch im Behandlungszimmer mit ernster Miene bewacht, in dem ich der aufmerksam behandelnden Internistin die Diagnosen der russischen Dokumente übersetze: lange Spitalsaufenthalte, schwere Medikation mit Nebenwirkungen, schlechte Werte. Auch jetzt sind die Werte nicht gut.

Auch jetzt hat sie Schmerzen. Ich frage, ob man sie aufnehmen könnte. Die Mutter ist weg, nur noch ich bin da. Das könnte meine Tochter sein, sage ich zum Polizisten. War das notwendig, die Mutter wegzubringen? Sie hätte mit ihr hier warten können.Er sagt nichts. Ich sage: sie ist 1995 geboren, das ist noch fast ein Kind. Er sagt: Pfff. Später erfahre ich, dass beide in der Rossauer Lände sitzen, ich kann sie nicht erreichen, die Erstbefragung wird bald gemacht. Die weiteren Stunden werden über die weitere Krankenversorgung entscheiden. In Polen wird es anders aussehen als in Wien, sage ich. Einer sagt: wir können die Welt nicht retten.